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“Zuerst das Pferd?”- Warum Selbstfürsorge auch für Reiter wichtig ist

14.Apr 2020 | Gedanken

Was wäre, wenn wir für unser eigenes Wohlergehen dieselben Maßstäbe setzen würden, wie für das unserer Pferde? Wir wären produktiver, weniger krank, zufriedener und: Bessere Reiter.

Als Reiter haben wir gelernt, das Pferd an erste Stelle zu stellen. Sorgfältig mischen das Futter zusammen, organisieren ihre Bewegung, achten darauf, dass sie ausreichend Zeit in ihrer Herde haben und halten Ställe und Ausläufe sauber. Wenn unsere Pferde einmal etwas steif, müde, oder einfach „nicht ganz in Ordnung“ wirken, passen wir die Bedingungen möglichst sofort darauf an.

Doch wenn wir selbst etwas müde aufwachen, ein bisschen steif oder Schmerzen haben – passen wir unser Arbeitspensum an, machen vielleicht die ein oder andere Pause mehr…? Nehmen wir uns genug Zeit für unsere (anderen) sozialen Kontakte? Beschäftigen wir uns wirklich damit, was wir brauchen und welches “Futter” uns guttut? Und bewegen wir uns so, wie es unser Körper braucht um langfristig gesund zu bleiben? Die Frage, wie gut wir uns eigentlich um uns selber kümmern, ist unter Reitern eher unpopulär. 

Kümmern wir uns um unsere eigenen Bedürfnisse annähernd so gut wie um die unserer Pferde?

Die Frage „Kümmerst du dich um dich?“ würden die meisten von uns dabei vermutlich bejahen. Wenn wir jedoch gefragt werden: „Auf welche Art und Weise kümmerst du dich um dich?“ wird es etwas schwieriger. „Self care“, zu Deutsch: Selbstfürsorge, ist ein Begriff, der in den sozialen Medien inzwischen allgegenwärtig ist. Oft verbunden mit Selfies von selig lächelnden Frauen in Wellness-Oasen oder meditierend in sonnendurchfluteten Mohn-Feldern. Wem das zu fern von seinem Alltag ist, den kann ich zu gut verstehen. Und wem es schwerfällt, sich die Zeit zu nehmen, eine regelmäßige Routine für etwas zu entwickeln, das man nur für sich, ohne sonstigen direkt erkennbaren Sinn macht, auch. Wir alle laufen mit so langen To-Do-Listen herum, dass es schwer ist, Dinge wie ein Schaumbad zu priorisieren.

Aus dem Wunschdenken, eine Art Superwoman zu sein, die mühelos die Welt rettet, ohne selbst viel zu brauchen, komme ich auch. Seit meiner Kindheit habe ich mich aufopferungsvoll um so viele Pferde wie möglich gekümmert, irgendwann sind dann noch Freunde, Familie, ein Partner und mehrere Jobs dazu gekommen, für die ich mich auch verantwortlich fühle, die meine Aufmerksamkeit brauchen und meine Kraft. Jahrelang bin ich mit all dem sehr freigiebig umgegangen, ohne Pausen und ohne mir Gedanken zu machen, wo ich dabei bleibe.

Bis mein Körper die weiße Fahne gehisst und mir zu verstehen gegeben hat, dass es so nicht weitergeht. Nachdem mich mehrmals hintereinander harmlose Infekte komplett außer Gefecht gesetzt hatten, begann ich, die Warnungen meines Umfelds, ich würde Gefahr laufen, mich selbst aufzugeben und auszubrennen, etwas ernster zu nehmen. Ich begann, mich mehr mit mir und meinen Motiven sowie mit dem Thema Selbstliebe und -fürsorge zu beschäftigen und erste zögerliche Schritte in diese Richtung zu unternehmen.

Was heißt denn das eigentlich, „Selbstfürsorge“? Für mich bedeutet es, darauf zu achten, was ich brauche, um mich gut zu fühlen, entspannt und präsent sein zu können. Zu merken, wenn meine Ressourcen schwächer werden und sie aufzuladen, bevor sie leer sind. Mich zu entspannen und Mitgefühl mit mir, meinen Grenzen und Schwächen zu haben. Mich immer wieder zu fragen: Was brauche ich gerade? Mit anderen Worten: So nett, wie ich es zu anderen sein möchte, auch zu mir zu sein. Gute Selbstfürsorge ist der Schlüssel zu einem längeren, ausgewogenen Leben, aktiviert es doch das parasympathische Nervensystem, das Ruhe-System im Körper, lindert dadurch Stress und hilft dem Körper, sich zu regenerieren und gesund zu bleiben. Außerdem hilft sie uns, uns zu konzentrieren und dadurch produktiver zu sein. Sie ist also rundum sehr sinnvoll eingesetzte Zeit.

Warum fällt das also so schwer? Wie viele andere, hielt auch ich früher Dinge wie Selbstliebe und Selbstfürsorge für egoistisch und narzisstisch. Spätestens bei näherer Betrachtung ist dies aber denkbar weit gefehlt. Vielmehr beginnt die Art, wie wir mit anderen umgehen, bei uns selbst. Wenn wir großzügig und liebevoll zu uns sind, fällt es uns leichter, auch anderen ihre Fehler nachzusehen. Und: Wir müssen uns um uns selbst kümmern, damit wir überhaupt die Ressourcen haben, uns um andere zu kümmern. Dabei ist es wie mit der Sauerstoffmaske im Flugzeug, die man sich laut der Sicherheitshinweise immer selbst zuerst aufsetzen soll: Wir können niemandem helfen, solange wir selbst keine Luft bekommen.

Je besser atmen können, desto mehr können wir helfen.

Die nötige Grundhaltung der Selbstliebe, die für die Selbstfürsorge notwendig ist, wird uns auf unserem Weg jedoch selten mitgegeben. In den Familien und auch in der Arbeitswelt mangelt es an guten Vorbildern. Im Gegenteil: Die heutige Arbeitskultur macht Fleiß, aber auch Stress und Verausgabung zum Status-Symbol. Und auch in Bezug auf unsere Freizeit haben wir beigebracht bekommen: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Es ist nur leider so, dass wir mit „der Arbeit“ heutzutage nie fertig werden.

Selbstfürsorge ist in erster Linie eine Frage der Haltung – nicht der zeitlichen Ressourcen. Denn sie sieht für jeden anders aus. Früher dachte ich, dass ich mich dafür auf die Couch legen muss und gar nichts tun darf. Und ich war frustriert, dass ich dafür einfach nie Zeit gefunden habe und mir „Nichtstun“ auch am Feierabend schwerfällt. Heute weiß ich: Das ist einfach nicht das Richtige für mich. Stattdessen kann ich auch in meinem aktiven Tag Momente finden, um zu mir zu kommen, meine Selbstfürsorge ist oft eher aktiv, in Form von Yoga oder einem Spaziergang. Wenn ich diese Momente bewusst zur Entspannung und Selbstfürsorge nutze.

Selbstfürsorge ist eine Frage der Haltung – und erlernbar

Hier ein paar praktische Tipps, die mir bis heute helfen, Selbstfürsorge zu leben:

  • Nutze die Zeit beim Pferd bewusst für dich. Die Natur kann helfen, uns zu erden, Momente des Innehaltens und der bewussten Wahrnehmung zu finden. Die Zeit im Stall eignet sich dafür wunderbar. Fühle die warme Pferdenase auf der Hand, genieße der Blick über die Weiden. Nimm dir die Zeit, den Raubvogel, der seine Kreise über die Felder zieht, zu beobachten. Wenn du etwas Glück in den kleinen Momenten findest, fühlst dich gleich etwas erholter.
  • Entspann dich. Das ist oft leichter gesagt als getan. Selbst wenn nicht viel Zeit für Entspannung zu bleiben scheint – es ist wichtig, dass wir herauszufinden, was uns entspannt. Das mag für den Einen ein langes, heißes Bad sein, für den Nächsten eine kurze Meditation oder die Lieblingsmusik. Auf die Schnelle helfen auch oft ein paar tiefe Atemzüge oder ein Mini-Stretching. Egal was es ist: Um körperlich und geistig fit zu bleiben, ist es wichtig, regelmäßig (d.h. mehrmals täglich) kurze Inseln der Entspannung zu schaffen. Und genug zu schlafen!
  • Beweg dich. Beim Reiten arbeiten wir nur mit unserem Teil unseres Körpers. Da jeder von uns aber ein Gesamtkunstwerk ist, zu dem jeder Pinselstrich, jeder Teil, einen wichtigen Beitrag leistet, brauchen wir all unsere Muskeln stark und beweglich, um gesund zu bleiben. Am Besten bewegen wir also unterschiedliche Teile unseres Körpers regelmäßig und das, wichtig, mit dem Ziel der Selbstfü Die vielen geleisteten Arbeiten und gelaufenen Kilometer im Stall zählen hier also nur dann dazu, wenn wir dabei die Intention haben, uns damit etwas Gutes zu tun. Betrachten wir die Stallarbeit in erster Linie als Arbeit, sollten wir sie durch positiv empfundene Bewegung ausgleichen. Durch ganzheitliche Bewegungskonzepte wie Yoga oder Qi Gong können wir zusätzlich unseren Geist ansprechen. Mir hat insbesondere das Yoga sehr geholfen, zur Ruhe zu kommen und ein Gefühl für Teile meines Körpers zu entdecken, die ich vorher gar nicht kannte.
  • Fühl dich. Wenn du mal wieder so tief im Alltag steckst, dass du vergisst, dass du einen Körper hast, nimm dir einen Moment, um dich selbst zu berühren. Das kann eine kleine Hand- oder Schultermassage sein, die Hand, mit der du deinen Herzschlag fühlst, vielleicht kennst du sogar Akupressur-Punkte die dir helfen können. Für mich ist „Hände eincremen“ inzwischen ein kleiner Wellness-Moment geworden, den ich gerne nutze, wenn ich mich mal wieder zu verlieren scheine. Berührung wirkt stresslindernd – auch die eigene. Und gerade die hilft uns, zu uns zu kommen.
  • Bau dir einen gesunden Körper. Während wir unseren Pferden möglichst gesunde, nährstoffreiche Futtermittel bereitstellen, nehmen wir das bei uns selbst oft nicht so genau. Dabei brauchen auch wir eine gesunde, ausgewogene Ernährung, um leistungsfähig und gut drauf zu sein. Was du heute isst, ist morgen Teil deines Körpers. Lerne zu fühlen, was du brauchst und dir guttut. Nimmst du dir die Zeit, auch während des Tages zu essen oder zu trinken, wenn dein Körper es braucht? Selbstfürsorge heißt, dass ich gesunde Lebensmittel in den Tag integriere und vorplane, um sicherzustellen, dass ich jeden Tag mit ausreichend nahrhaften Lebensmitteln versorgt bin.
  • Mach Spaß zur Priorität. Selbstfürsorge heißt herauszufinden, was dir Spaß macht und ernstgemeinte Versuche zu unternehmen, das in deinen Tag oder wenigstens deine Woche zu integrieren. Such dir täglich etwas auf, dass du dich freuen kannst. Das kann ganz einfach sein: Etwa abends ein gutes Buch zu lesen oder mit einem lieben Menschen zu Abend zu essen. Und finde Gelegenheiten, zu lachen – auch das entspannt direkt.
  • Beobachte deinen Energiehaushalt. Wenn du dich abends „leer“ fühlst, frag dich: Was war zu viel, welche Situationen und Menschen haben so viel Kraft gekostet? Selbstfürsorge bedeutet zu merken, wann der Akku leerer wird und Maßnahmen zu ergreifen, das Pensum herunterzufahren, das richtige Maß zwischen „zu viel“ und „nicht genug“ zu finden.
  • Setze klare Grenzen. Vielleicht das Schwierigste an der Selbstfürsorge: Ein „Ja“ zu den eigenen Bedürfnissen heißt oft auch „Nein“ zu den Wünschen und Bedürfnissen anderer. Egal, ob es die Freundin ist, das Kind, der Mann, die Nachbarin, der Chef oder auch das Pferd (jenseits der Grundversorgung natürlich). Dass die ersten „Neins“ schwer fallen, ist ganz normal. Es braucht etwas Übung, die eigenen Grenzen zu erkennen und dann einzuhalten. Meiner Erfahrung nach schadet das ein oder andere „Nein“ zuviel am Anfang nicht. Und mit der Zeit wird es immer leichter, die eigenen Grenzen zu wahren – und vermutlich werden sie auch immer weniger angegriffen. Interessant ist nämlich zu beobachten: Wenn wir uns selbst mehr Respekt schenken, wird auch unser Umfeld immer respektvoller mit uns umgehen.
  • Nimm wahr, wie du mit dir selbst spricht. Die britische Therapeutin Marissa Peer schreibt: „Die wichtigsten Worte deines Lebens sind die, die du zu dir selbst sprichst.“ Die Art, wie du mit dir sprichst und über dich denkst, hat eine wahnsinnige Wirkung. Unsere Wahrnehmung der Welt entsteht in unserem Kopf. Wenn wir denken, dass wir einen schlechten Tag haben werden, werden wir ihn vermutlich auch bekommen. Wenn wir denken, dass uns etwas stresst, stresst es und direkt umso mehr. Was denkst du über deine Zeit? Deine unterschiedlichen Rollen? Über dich selbst? Deine Gesundheit? Wichtiger als die Veränderung unserer Gewohnheiten, ist die Veränderung unserer Gedanken. Und dazu müssen wir sie erst einmal wahrnehmen.
  • Lerne zu nehmen. Selbstfürsorge heißt nicht nur, dass man sich selbst etwas Gutes tut. Es geht auch darum, zuzulassen, dass andere etwas für uns tun. Zu verstehen, dass es okay ist, auch mal etwas anzunehmen, kann eine der wichtigsten Lektionen auf dem Weg zur Besserung sehen. Und sie erlaubt auch anderen, das gute Gefühl des Gebens zu erfahren.

Wie fang ich an?

Die gelebte Selbstliebe kann also ganz unterschiedliche Gesichter haben, und jeder sollte für sich selbst herausfinden, was ihm hilft und was passt. Dabei lohnt es sich, ein paar Dinge zu berücksichtigen:

  • Halt es einfach. Im Laufe der Zeit wirst du lernen, was für dich funktioniert und automatisch mehr Formen der Selbstfürsorge in dein Leben integrieren.
  • Selbstfürsorge passiert nicht einfach so, sondern sollte etwas geplant werden. Trage dir Termine für dich in den Kalender ein und informiere auch andere darüber, um deine Verbindlichkeit zu erhöhen. Suche im Alltag aktiv nach Möglichkeiten der Selbstfürsorge.
  • Wichtig ist, dass wir Selbstfürsorge immer bewusst ausführen. Mit anderen Worten: Wenn du etwas nicht als Selbstfürsorge siehst, du etwas nicht machst, um dir selbst etwas Gutes zu tun, wird es auch nicht den positiven Nutzen der Selbstfürsorge haben. Mach dir bewusst was du tust, warum du es tust und welche Ergebnisse es gibt.
  • Lerne, das Selbstfürsorge keine Belohnung ist, sondern ein wichtiger Teil des Prozesses. Das heißt: Nimm dir die Zeit, gut zu essen, dich ausreichend zu bewegen, dich gut zu fühlen und, um Gottes Willen, auch auf Toilette zu gehen, wenn es erforderlich ist. Auch wenn du gerade beschäftigt bist und nicht erst danach.

Den Anspruch, den ich an das Wohlergehen meines Pferdes habe, habe ich heute zunehmend auch an mein eigenes und ich muss feststellen: Ich bin besser in allem. Ich bin gesünder, zufriedener und entspannter, nehme noch eher die Bedürfnisse anderer wahr und komme trotzdem weiterhin gut „voran“ in Leben. Und auch meinem Pferd fühle ich mich näher als zuvor. Es hatte ja nie Ziele für uns, wie ich sie habe. Meinem Pferd ist egal, wie viel ich in 24 Stunden leisten kann. Mein Pferd glorifiziert weder Stress noch Leistung. Aber es fühlt, dass ich ihm ein viel angenehmerer Partner bin, wenn ich entspannt und ausgeruht bin, wenn mein Körper und mein Geist sich vollständig auf unsere gemeinsamen Momente konzentrieren können.

Wenn wir uns besser fühlen, hat am Ende unser gesamtes Umfeld etwas davon, auch unsere Pferde. Ich halte Selbstfürsorge daher inzwischen für unsere Pflicht – uns selbst, aber vor allem unseren Lieben gegenüber.

Liebe Reiter, wir sind stolz darauf, wie wir uns um unsere Pferde kümmern. Es ist Zeit, dass wir dasselbe für uns tun. Unsere Pferde werden es uns danken.

– Dieser Text ist in der FEINE HILFEN Nr. 34 erschienen. –

Über die Autorin

Daniela Kämmerer

Daniela Kämmerer

Visionärin, Pferde-Menschen-Coach, Yogalehrerin, Autorin

Daniela möchte Menschen und Pferden helfen, sich wohler in ihrer Haut zu fühlen und aufzublühen. Nicht zuletzt, da sie nur so auch gut füreinander sein können – und für ihre sonstige Umwelt.

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