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Über Präsenz. Oder: Wie ich vergessen habe, wie man reitet*… Und es mir dann wieder eingefallen ist.

7.Sep 2015 | Gedanken

prasenzEs hat eine Weile gedauert, es mir einzugestehen, aber leider ist es so: In letzter Zeit habe ich ein bisschen die Freude an meinem Pferd verloren. Und ich bin sicher: Mein Pferd auch die Freude an mir. Die Szenen, in denen ich meinte, viel deutlicher werde zu müssen, als ich es doch eigentlich möchte, um meine Ziele zu erreichen, häuften sich. Jeden Schritt musste ich ihr aus der Nase ziehen. Der Weg zum Reitplatz, den wir lange Zeit beinahe trabend und in freudiger Erwartung hinter uns gebracht haben, wurde immer länger und schwerer, die Abzweigung zur Weide immer attraktiver für das kleine Pferd, mein Protest dagegen um so lauter. Dabei hatte ich doch so viel vor diesen Sommer, wollte sie unbedingt mal ein bisschen weiter bringen, schwierigere Aufgaben stellen, den Galoppwechsel endlich zuverlässig „einbauen“, grundsätzlich mehr vorwärts und Aufrichtung „herausreiten“, solche Sachen. Wir sind doch jetzt so weit, sie macht das alles so gut, da geht doch sicher noch was… Stattdessen wurde alles schwieriger, angespannter, stressiger. Der Sattel, ja, selbst das Reitpad, (für uns beide) immer schwerer, der gefühlte Aufwand für Kleinigkeiten immer höher.

Aber Moment, Stress beim Pferd? Kenne ich doch eigentlich gar nicht, hier war immer meine Insel: Im Stall findet der Alltag nicht statt. Alles, was mich den Tag über beschäftigt hat, gebe ich spätestens am Stallparkplatz ab und sammle es dort, manchmal auch erst später, bei der Rückkehr in die Stadt, wieder ein. Dazwischen zählt nur das Hier und das Jetzt, nur das Pferd und ich. Normalerweise.

In letzter Zeit haben mich die allgemeine Hektik, die ständige Verfügbarkeit, der Versuch des ständigen Überallseins und Allestuns mehr und mehr ergriffen. Ich konnte immer schlechter schlafen, merkte, dass mein Körper mir zunehmend Warnsignale (Wahnsignale?) sendete, ich konnte immer schlechter abschalten und auch mein Erinnerungsvermögen und meine Konzentration ließen mich zunehmend im Stich. Nun hat mich mein Körper ein paar Tage aus dem Verkehr gezogen, mit verschiedenen Entzündungssymptomen, Schmerzen, Schwindel und Ekzemen, hat er mich endlich überzeugt, kürzer zu treten.

Mit diesem guten Vorsatz bin ich zum ersten Mal seit Tagen wieder auf mein Pferd gestiegen. Bewusst nichts erreichen wollen, einfach abschalten, tragen lassen, fünfe gerade sein lassen, die Ziele reduzieren – für mich und das Pferd. Ich wählte einen großen Ausritt – zu groß wäre die Versuchung gewesen, auf dem Reitplatz meinen gewohnt hohen Ansprüchen genügen zu wollen.

Mein Ziel für diesen Ritt war das Reiten. Das Mit-dem-Pferd-sein. Das Ein- und Ausatmen beim Genießen der Natur in seinem faszinierenden Zusammenspiel. Ein Ziel, das eigentlich immer mein höchstes war – und mir, ohne dass ich es gemerkt habe, mit der Zeit entglitten ist. Und während ich so ritt, und spürte, wie die Bewegungen des Pferdes mich mit jedem Schritt mittrugen, die Bäume und Feldwege an uns vorbeizogen, die Sonne meine Haut wärmte und (glücklicherweise nur einige wenige) Insekten um uns herumsurrten, merkte ich, dass mein kleines Pferd plötzlich wieder ganz bei mir war. Und dass ich nur denken musste, um ihre Füße zu bewegen. Schneller, langsamer, Galopp, Schritt, Trab, langsamerer Trab, vorsichtiges Anfragen von Schulterherein, Kruppeherein, Galoppwechsel auf dem Waldweg (!) alles war plötzlich greifbar und faszinierend einfach. Magisch.

Ich spürte an jeder zweiten Weggabelung und nach jedem kleinen tollen Moment kurz den Impuls, vor Freude und Dankbarkeit abzuspringen und meinem kleinen Pferd um den Hals gefallen, aber sie wirkte ganz gelassen und einfach zufrieden: Ist doch schließlich klar, dass sie das alles kann – wenn ich sie einfach lasse und freundlich darum bitte. Und vor allem: Präsent bin.

Denn dies fiel mir dort im Wald tatsächlich wie Schuppen von den Augen: Ich habe meine Präsenz verloren (- und sollte das mal aufschreiben, weil ich sicher nicht alleine mit dieser Erfahrung bin). Kein Wunder, dass alles so schwer fiel, denn: Ich war gar nicht wirklich bei meinem Pferd in letzter Zeit. Hatte zwar ehrgeizige Ziele vor Augen, war aber nicht bei ihr, um diese Ziele zu erreichen. Plötzlich begriff ich wieder, dass jeder einzelne Moment eine neue Chance birgt, gut zu reiten, sich selbst und sein Pferd zu spüren und dass buchstäblich jeder Schritt gleich wichtig ist und toll sein kann, wenn man sich nur ehrlich auf ihn einlässt. Wie leicht es ist, Harmonie mit seinem Pferd zu erleben, wenn man offen dafür ist, sie in jedem Moment finden. Die „Ja!“s sucht, und nicht die „Hm, ich weiß nicht, was war das denn!?“s. Und sie dann innerlich feiert.

Ich weiß jetzt wieder, wie man reitet. Bzw. wie ich reiten will. Und freue mich schon darauf, meinen Pferd künftig wieder neu, neugierig und ehrlich aufmerksam zu begegnen. Mal schauen, wohin wir uns von dort tragen lassen. Der Alltag, der Leistungsgedanke und aller Stress aus der großen Stadt haben zwischen uns beiden auf jeden Fall mal gar nichts zu suchen.

*Ich schreibe hier „reiten“, aber natürlich lässt sich der Gedanke auf jede Art der Arbeit und des Zusammenseins mit dem Pferd, des Horsemanships, übertragen. „Reiten“ funktioniert hier nur sinnbildlich so gut.

Über die Autorin

Daniela Kämmerer

Daniela Kämmerer

Visionärin, Pferde-Menschen-Coach, Yogalehrerin, Autorin

Daniela möchte Menschen und Pferden helfen, sich wohler in ihrer Haut zu fühlen und aufzublühen. Nicht zuletzt, da sie nur so auch gut füreinander sein können – und für ihre sonstige Umwelt.

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